Sapphic: ein Blick auf Gefühle
- Lizbeth
- vor 2 Tagen
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Ursprung: Sappho, Lesbos und die Wurzeln von "sapphic"
Der Begriff "sapphic" geht auf die antike Dichterin Sappho zurück, die auf der griechischen Insel Lesbos lebte, etwa im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Sappho schrieb Lyrik über Liebe, Sehnsucht, Freundschaft und Begehren, häufig in Bezug auf andere Frauen. Ihre Texte sind nur bruchstückhaft erhalten, aber genug, um deutlich zu machen, dass sie intensive, teilweise eindeutig erotische Gefühle zwischen Frauen beschreibt. (siehe them.us: What does it mean to be Sapphic?)
Aus ihrem Namen leiten sich zwei Begriffe ab, die heute für weibliche gleichgeschlechtliche Anziehung stehen: "lesbisch" stammt von der Insel Lesbos, "sapphic" von Sapphos Namen. Schon in der Antike war Sappho eine Projektionsfläche: Mal wurde sie als respektable Lehrerin von Mädchen dargestellt, mal als übersexualisierte Liebhaberin, mal wurde ihre Liebe zu Frauen wegerklärt. Die Debatte, ob Sappho nach heutigen Kategorien lesbisch war, ist historisch eigentlich unsinnig, weil es das moderne Konzept sexueller Identität zu ihrer Zeit so nicht gab. Trotzdem ist sie zu einer Ikone weiblicher Homosexualität geworden.
Ursprünglich bedeutete "sapphic" einfach "zu Sappho gehörend" oder "ihrem Stil entsprechend" und bezeichnete zum Beispiel ein bestimmtes Versmaß, die sapphische Strophe in der Lyrik. Erst viel später begann sich die Bedeutung in Richtung weiblicher gleichgeschlechtlicher Liebe zu verschieben. (siehe: World History Encyclopedia: Sappho of Lesbos)
Wie "lesbisch" zu einem Identitätswort wurde
Auch lesbisch war anfangs ein rein geografischer Begriff: Er bezeichnete schlicht Menschen oder Dinge von der Insel Lesbos. Noch bis ins 18. und frühe 19. Jahrhundert konnte lesbian im Englischen etwa einen bestimmten Wein von Lesbos meinen. (siehe DIVA: Lesbos, lesbios, lesbian: a history of the word, Wikipedia: Lesbian Wine)
Der Weg hin zur heutigen Bedeutung verlief über Literatur und medizinische Texte. Nach und nach wurde "lesbian" im Englischen, später "lesbisch" im Deutschen, als Umschreibung für weibliche Homosexualität benutzt, anfangs oft in medizinisch-pathologisierenden Kontexten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts taucht das Wort in Wörterbüchern und Fachtexten auf, zum Beispiel, um "Tribadismus" zu beschreiben, also Sexualpraktiken zwischen Frauen.
Im 20. Jahrhundert wurde lesbisch dann zunehmend zu einem selbstbewusst gewählten Identitätsbegriff. Vor allem in den 1960er und 1970er Jahren, im Umfeld der zweiten Frauenbewegung und lesbisch-feministischer Gruppen, bekam das Wort eine stark politische Dimension: lesbisch bedeutete nicht nur, wen man liebt, sondern oft auch eine bewusste Abgrenzung von heteronormativen Geschlechterrollen und eine kollektive Identität.
Dass lesbisch heute so selbstverständlich als Identitätslabel benutzt wird, ist also das Ergebnis einer langen Entwicklung, von der Inselbezeichnung über die Pathologisierung hin zur Selbstbezeichnung und politischen Kategorie.
Bedeutungswandel von "sapphic": Vom Synonym zu einem eigenen Schirmbegriff
Der Begriff "sapphic" ist auf Englisch lange Zeit fast deckungsgleich mit "lesbian" verwendet worden. In vielen Wörterbüchern findet man bis heute Definitionen, in denen "sapphic" schlicht "lesbisch" oder "weiblich-homosexuell" bedeutet.
Ab ungefähr der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tauchte "sapphic" immer wieder als etwas "weichere" oder poetischere Alternative zu "lesbian" auf, zum Beispiel in Buch- und Filmkritiken, aber auch als Art Euphemismus in Zeiten, in denen das offene Aussprechen "Ich bin lesbisch" gesellschaftlich stärker sanktioniert war.
In den letzten Jahren hat sich in Online-Communities jedoch eine deutlich andere, modernere und queere Verwendung etabliert. Auf Plattformen wie Tumblr, TikTok und in queeren Book-/Media-Bubbles wird "sapphic" zunehmend verwendet als:
Oberbegriff für alle Frauen und fem-aligned Personen, die (auch) zu Frauen/trans Frauen/Femmes hingezogen sind, unabhängig davon, ob sie ausschließlich Frauen lieben oder auch andere Geschlechter.
Sammelbegriff für Inhalte mit romantischer oder sexueller Anziehung zwischen Frauen bzw. fem-aligned Personen, zum Beispiel "sapphic books", "sapphic movies", "sapphic characters".
Das bedeutet: Eine Frau, die sich sowohl zu Frauen als auch zu Männern hingezogen fühlt, kann sich durchaus als "sapphic" beschreiben, auch wenn sie sich nicht als "lesbisch" versteht. Ebenso nutzen manche nichtbinären Menschen, die sich dem weiblichen oder femininen Spektrum zuordnen und sich zu Frauen hingezogen fühlen, "sapphic" als Label, weil es ihnen offener erscheint als "lesbisch", das sprachlich sehr stark an "Frau" gebunden ist.
"Sapphic" heute: Wie Communities den Begriff verwenden
Wenn man in queere Online-Räume schaut, lassen sich grob drei große Verwendungsweisen von "sapphic" erkennen. Sie überschneiden sich, sind aber nicht deckungsgleich.
Erstens wird "sapphic" als Identitätslabel genutzt. Menschen, die sich in der klassischen Schublade "lesbisch" nicht ganz wiederfinden, aber klar machen wollen, dass ihre Anziehung primär in Richtung von Frauen oder fem-präsentierenden Personen geht, wählen "sapphic" als Selbstbeschreibung. Manchmal, weil sie auch andere Geschlechter begehren können, manchmal, weil sie mit der Geschichte oder den Stereotypen rund um das Wort "lesbisch" hadern, manchmal, weil es sich für sie einfach intuitiv richtiger anfühlt.
Zweitens fungiert "sapphic" stark als Schirmbegriff. In manchen Definitionen wird "sapphic" explizit als "woman loving woman" oder "girls loving girls" erklärt, inklusive bisexueller, pansexueller und queerer Frauen, die auch Frauen lieben. In anderen Versionen werden explizit auch nichtbinäre Personen mitgedacht, die sich dem weiblichen/femininen Spektrum zugehörig fühlen. (siehe LGBTQIA+ Wiki: Sapphic)
Drittens hat "sapphic" eine starke Rolle als inhaltliches Label: wenn von "sapphic media" die Rede ist, meint das Bücher, Filme, Serien, Spiele, Fanfiction oder Comics, in denen romantische oder sexuelle Beziehungen zwischen Frauen bzw. fem-aligned Figuren im Mittelpunkt stehen. Für viele Menschen ist es praktischer, nach "sapphic books" zu suchen als nach "lesbian books", weil sie so gleich ein weiteres Spektrum an Konstellationen abdecken.
Es gibt keine definitive Bedeutung, die beschreibt, wie sapphic "richtig" zu verwenden ist. Sprache wird in Communities gemacht. Entsprechend gibt es auch Diskussionen und Streit darüber, wie weit der Begriff gefasst sein sollte, ob zum Beispiel Menschen, die nur sehr gelegentlich Frauen attraktiv finden, sich sapphic nennen sollten oder nicht, und wie sich das zu lesbischer Sichtbarkeit verhält.
Parallelen und Unterschiede zu "lesbisch"
"Sapphic" und "lesbisch" haben denselben historischen Kern: Sie verweisen beide auf Sappho und die Insel Lesbos, beide stehen in einer langen Tradition der Benennung von Liebe zwischen Frauen. Insofern überschneidet sich ihre Bedeutung stark.
In der heutigen Nutzung lassen sich einige Unterschiede herausarbeiten.
"Lesbisch" ist im Deutschen in erster Linie ein Identitätsbegriff. Er wird meist verstanden als: Eine Frau, die ausschließlich oder überwiegend zu Frauen hingezogen ist. Viele lesbische Menschen betonen, dass lesbisch mehr bedeutet als "Frau, die Frauen liebt". Es beschreibt auch ein bestimmtes Lebensgefühl, eine Community, eine Kultur und Geschichte, von der lesbische Bars über politische Kämpfe bis zu spezifischen Medien reicht.
"Sapphic" ist dagegen wandelbarer. Wer sich so bezeichnet, signalisiert eine Nähe zu lesbischer Erfahrung, aber nicht zwingend Exklusivität. Für einige ist es bewusst ein weiteres Wort: Es umfasst lesbische Frauen, bisexuelle Frauen, pansexuelle Frauen und fem-zugeordnete queere Personen, solange sie Anziehung zu Frauen empfinden. In dieser Lesart ist jede Lesbe "sapphic", aber nicht jede sapphic Person lesbisch.
Inhaltlich sind viele sapphic Geschichten lesbische Geschichten, und viele lesbische Geschichten sind sapphic. Unterschiede entstehen vor allem auf der Ebene der Identitätspolitik und der Community-Grenzziehung:
Einige Lesben kritisieren, dass sapphic manchmal benutzt wird, um das Wort lesbisch zu umgehen, weil dieses historisch mit Stereotypen oder Vorurteilen belegt ist, und sehen darin eine Form des Unsichtbarmachens lesbischer Lebensweisen. Umgekehrt erleben Menschen, die sich nicht klar als lesbisch verorten, sapphic als befreiend, weil sie weder ihre Anziehung zu Frauen klein reden noch sich auf eine starre Schublade festlegen möchten.
Hinzu kommt, dass lesbisch in den letzten Jahren einerseits von Teilen der radikal-feministischen Szene transfeindlich vereinnahmt wurde, andererseits aber gerade von jungen, trans-inklusiven Communities bewusst wieder positiv und offen besetzt wird. Lesbisch kehrt sichtbar in den Mainstream zurück, nicht nur als Beziehungslabel, sondern auch als stolze, queere Identität, die ausdrücklich trans und nichtbinäre Menschen einschließt, die sich ihr zugehörig fühlen. (siehe them.us: In 2024, The Word “Lesbian” Was So Back)
Kurz gesagt: "Lesbisch" und "sapphic" sind keine Gegensätze, sondern zwei Begriffe mit enger Verwandtschaft und unterschiedlichen Nuancen.
Die Perspektive aus dem Deutschen: Ein englischer Begriff im deutschsprachigen Alltag
Sapphic ist ein englisches Wort. Im deutschsprachigen Raum ist lesbisch der etabliertere Begriff, und viele Diskurse um sapphic finden bisher hauptsächlich in englischsprachigen Online-Räumen statt.
Trotzdem taucht "sapphic" zunehmend auch in deutschen Kontexten auf, insbesondere in Social Media, in der Fan-Kultur oder in queeren Communities, die stark international vernetzt sind. Manche Menschen übernehmen den Begriff eins zu eins, andere verwenden eingedeutschte Formen wie "sapphische Geschichten" oder "sapphische Beziehungen", wieder andere bleiben bei lesbisch, bi, pan, queer oder "wlw" (women loving women) und nutzen sapphic nur als Suche- oder Hashtagwort für Medien.
Sprachlich ist nichts besser oder schlechter. Wer bevorzugt auf Deutsch spricht, kann sich fragen, ob sie sich mit lesbisch, bi, pan, queer, bisexuelle Frau, die Frauen bevorzugt oder eben sapphic am wohlsten fühlt. Und wer auf Deutsch schreibt oder bloggt, kann sapphic bewusst einsetzen, um an internationale Diskurse anzudocken, oder es eher sparsam verwenden und stärker auf deutsche Begriffe setzen.
Wie man sapphic respektvoll benutzt
Weil sapphic ein Community-Begriff ist, der sich ständig weiterentwickelt, gibt es keine harte, überall gültige Definition. Ein paar Grundgedanken helfen aber, ihn respektvoll zu verwenden.
Menschen bestimmen ihre eigene Identität. Wenn jemand sich als sapphic bezeichnet, ist das gültig, unabhängig davon, ob andere diese Person lieber als lesbisch, bi oder pan kategorisieren würden. Umgekehrt ist es keine gute Idee, jemandem von außen das Label sapphic aufzudrücken, wenn die Person es selbst nicht verwendet, auch dann nicht, wenn ihr Verhalten oder ihre Beziehungen von außen betrachtet dazu passen könnten.
Als Inhaltslabel eignet sich sapphic gut, wenn es um Vielfalt innerhalb von "Frauen lieben Frauen und fem-aligned Menschen" geht, ohne zwischen lesbisch, bi oder pan trennen zu wollen. Wer etwa eine Buchliste für alle erstellen möchte, die romantische Geschichten zwischen Frauen lieben, kann "sapphic Romane" schreiben, ohne jede Autorin oder Figur identitätspolitisch festnageln zu müssen.
Gleichzeitig lohnt es sich, das Wort lesbisch nicht über Bord zu werfen. Es hat eine eigene Geschichte, eine Kultur, eine politische Kraft und wird von sehr vielen Menschen bewusst und stolz gewählt. Beides kann nebeneinander stehen: lesbisch als klarer Identitätsbegriff und sapphic als weiches, verbindendes oder ergänzendes Wort.
Fazit: Raum für Nuancen
Sapphic ist ein altes Wort in neuer Rolle. Es trägt die Geschichte Sapphos und Lesbos in sich, die medizinische, literarische und politische Entwicklung von Begriffen für Liebe zwischen Frauen und gleichzeitig die sehr zeitgenössische Sehnsucht nach Labels, die offener, fließender und weniger binär sind.
Im heutigen Sprachgebrauch beschreibt sapphic meist Menschen oder Geschichten, in denen Anziehung zwischen Frauen oder fem-zugeordneten Personen im Zentrum steht. Es überschneidet sich mit lesbisch, geht aber oft etwas weiter und schließt auch diejenigen ein, die sich zwar stark zu Frauen hingezogen fühlen, aber nicht ausschließlich und sich deshalb nicht, oder nicht nur, als lesbisch verstehen.
Am Ende ist entscheidend, welches Wort dir selbst Sicherheit, Zugehörigkeit und ein Gefühl von "Das bin ich" gibt. Sprache rund um queere Identitäten verändert sich ständig, und sapphic ist ein schönes Beispiel dafür, wie Communities Begriffe aus der Geschichte nehmen, neu füllen und damit Platz schaffen für mehr Nuancen auf dem Spektrum von Liebe und Begehren.
Eure, Lizbeth
