Regenbogen zwischen Rendite und Rückzieher: Was Pride-Kampagnen für Unternehmen wirklich bewirken
- Lizbeth

- 00false13 GMT+0000 (Coordinated Universal Time)
- 6 Min. Lesezeit

Wenn im Juni die Logos der großen Konzerne plötzlich in Regenbogenfarben erstrahlen, wirkt das auf den ersten Blick wie ein Sieg der Sichtbarkeit. Doch immer öfter bleibt die Frage: Geht es hier um echte Haltung oder um kurzfristiges Marketing, das verschwindet, sobald der Pride-Monat vorbei ist oder rechter Backlash droht? Genau hier liegt der Kern des sogenannten Pink-Washing. (siehe: Wikipedia: Pinkwashing)
Corporate Sociopolitical Activism
Die Forschung zum sogenannten Corporate Sociopolitical Activism zeigt, warum das heikel ist: Kapitalmärkte reagieren auf politische Stellungnahmen von Unternehmen im Durchschnitt zunächst skeptisch, vor allem wenn zwischen der Botschaft und der Marken-DNA kein klarer Zusammenhang besteht. (siehe: SAGE Publications: Corporate Sociopolitical Activism and Firm Value, JSTOR: Brands Taking a Stand) Eine Event-Study im Journal of Marketing über 293 solcher Ereignisse dokumentiert kurzfristig negative Kursreaktionen und macht gleichzeitig deutlich, dass echte Glaubwürdigkeit den entscheidenden Puffer bildet. Konsumentenseitig ist der Mechanismus gut belegt: Wird ein Gap zwischen Anspruch und Praxis wahrgenommen, schlägt "Purpose" in Heuchelei um, mit messbaren Effekten auf Einstellung, Kaufabsicht und Boykottneigung. Forschungen zum authentischen Brand Activism und zu Pink-/Woke-/Rainbow-Washing fassen das wie folgend zusammen: Wo Haltung durch Taten unterlegt ist, steigen Markenwert und Kaufintention; wo Symbolik dominiert, kippt das Vertrauen. (siehe: National Library of Medicine: Consumer Response to Corporate Hypocrisy From the Perspective of Expectation Confirmation Theory)
Fehlgeschlagene Pride-Kampagnen
In den USA liefert Target das bekannteste Beispiel für fehlgeschlagene Pride-Kampagnen der vergangenen Jahre. Nach Angriffen und Drohungen rund um die Pride-Kollektion 2023 entfernte der Händler bestimmte Artikel, versetzte Aufsteller und zog sich sichtbar zurück. (siehe: The Guardian: ‘Threats’ prompt US Target stores to remove some Pride Collection products) 2024 bestätigte das Unternehmen, Pride-Waren nur noch in ausgewählten Filialen anzubieten, was es mit "Guest Insights" begründete. (siehe: CBS News: Target says it's cutting back on Pride merchandise at some stores after backlash) Parallel berichteten Medien über rückläufige Verkäufe im Anschluss an die Kontroverse, unabhängig von anderen zyklischen Faktoren. Der Fall zeigt, wie Rückzüge kurzfristige Konflikte beruhigen mögen, langfristig aber die Vertrauensbasis erodieren, weil Werte plötzlich als verhandelbar erscheinen. (siehe: AP: Target Q2 sales fall on muted spending, Pride month backlash, and it cuts profit outlook for 2023)
Glaubwürdigkeitsprobleme
Starbucks illustriert ein anderes Glaubwürdigkeitsproblem: Auf der Policy-Seite ist der Konzern seit Jahren Vorreiter, etwa mit trans-inklusiven Leistungen (siehe: SBX: ‘They are lifesaving’: Starbucks offers expanded benefits for trans people), die 2018 auf zuvor oft als "kosmetisch" ausgenommene Behandlungen ausgeweitet wurden. 2023 entbrannte gleichwohl eine öffentliche Auseinandersetzung um Pride-Dekorationen auf Store-Ebene; Beschäftigte berichteten von entfernten Deko-Elementen, das Management bestritt eine zentrale Policy-Änderung und verwies auf lokale Entscheidungen. (siehe: GBH: Starbucks workers at Massachusetts stores join national strikes over Pride decorations policy) Für die Wahrnehmung zählt am Ende die Konsistenz zwischen zentraler Botschaft und Umsetzung im Alltag: Gerade weil Starbucks hohe Standards setzt, wiegen Ausreißer in der Fläche reputativ doppelt.
In Indien hat Starbucks eine sehr emotional schön dargestellte Ad-Kampagne laufen lassen:
Eine ähnliche Kampagne hat Starbucks in den UK laufen lassen:
Es wäre schön, wenn Starbucks sich trauen würde solche Kampagnen weltweit auszuspielen. Dann könnten wir von ehrlichem Engagement reden.
Mal hü, mal hott
Im deutschen Kontext wird Pink-Washing häufig an der Geografie festgemacht. BMW wurde wiederholt dafür kritisiert, Pride-Branding in westlichen Kanälen zu zeigen, regionale Accounts im Nahen Osten jedoch auszuklammern (siehe: Fortune: BMW changed its emblem on social media to celebrate Pride, but not for its Middle East account); 2024 lieferte das Unternehmen eine Erklärung zur länderspezifischen Handhabung (siehe: CBS: BMW explains why its Middle Eastern accounts don't celebrate Pride Month). Unabhängig von der internen Logik empfinden viele Nutzer:innen die selektive Sichtbarkeit als inauthentisch. Der Diskurs erfasst auch andere Premiummarken aus Deutschland, die in Europa lautstark für Vielfalt werben, während sie in restriktiven Märkten still bleiben. Genau hier greift die Forschung zu Pink-Washing: Wenn die Marke selbst die globale Bühne bespielt, werden Geo-Gaps als Inkongruenz gelesen, mit Folgen für Markenvertrauen und Preissensitivität.
Mut und Haltung
Dass Haltung sehr wohl wirkt, sobald sie narrativ, mutig und folgerichtig umgesetzt ist, zeigt J&B (Diageo) mit der Weihnachtskampagne „She“. Die Geschichte eines Großvaters, der Schminken übt, um seine trans Enkelin zu unterstützen, wurde 2022 millionenfach geteilt und in Folgeaktivitäten wie „Orgullo de Pueblo“ überführt, die Sichtbarkeit außerhalb der Metropolen stärken. (siehe: Adweek: Emotional J&B Holiday Campaign Furthers Diageo's Support for the Trans Community) Der Unterschied zur reinen Symbolik liegt genau in dieser Ressourcenbindung und der Passung zwischen Erzählung, Feierkultur und Marke. Internationale Fach- und Branchenberichte ordnen das als vorbildlichen Case für glaubwürdige, inklusionsgetriebene Markenführung ein. (siehe: Contagious: Insight & Strategy: She)
J&B "She" - eine Werbung, welche mich jedes Mal zu Tränen rührt:
Innen und Außen Zeichen setzen
Sephora zeigt, wie Außenkommunikation durch verlässliche Innenarbeit stabilisiert wird. 2019 schloss der Händler in den USA sämtliche Filialen zeitweise für Inklusions-Workshops, eine Maßnahme, die deutlich über Regenbogen-Ästhetik hinausgeht. 2025 folgte eine Pride-nahe Kampagne mit Haus Labs von Lady Gaga in Partnerschaft mit der Born This Way Foundation; parallel kehrten kuratierte LGBTQIA+-Spaces in Stores zurück. Aus Sicht der Evidenz ist das die wirksamste Kombination: sichtbare Signale nach außen plus messbare Prozesse nach innen reduzieren Hypokrisen-Vorwürfe und stützen Employer Brand und Bindung.
Today we’re thrilled to share our “Identify as We” campaign, which celebrates the transgender and non-binary community and our long history in beauty together. As a company, we hold ourselves to a high and public set of standards around creating a welcoming space for every client. We took an important step this morning with our 16,000 employees to further the conversation around creating a more inclusive beauty space. Our journey has not been perfect and is by no means complete. We will continue to learn and work toward this goal. We Belong to Something Beautiful.
Sephora, Start der Kampagne "Identify as We"
Zusammen mit Lady Gaga - "We Belong To Something Beautiful"
Steter Tropfen höhlt den Stein
Levi’s wiederum steht für Kontinuität. Das Unternehmen belegt seit Jahren, dass Pride kein saisonales Motiv sein muss, sondern eine wiederkehrende Struktur mit klarer Ressourcenbindung. 2024 bestätigte Levi Strauss die jährliche Spende von 100.000 US-Dollar an Outright International (siehe: Levis: A Prideful and Powerful Portfolio); zahlreiche Branchenberichte dokumentieren diese Linie über mehrere Jahre. (siehe WWD: Levi’s Pride Collection 2024 Celebrates ‘Rainbow Rodeo’ Culture With Rhinestones, Gold-coated Denim & More Looks) Diese Wiederholbarkeit ist in der Forschung der zentrale Hebel für Resilienz: Wo Engagement verlässlich ist, steigen die Chancen auf stabile Einstellungen und langfristige Wertschätzung.
Levi’s® Pride: 2018 Campaign Video
Im Kleinen ganz groß
TK Maxx beziehungsweise die TJX-Gruppe wählt eine leisere, strukturelle Route. Statt großer Juni-Gesten investiert der Konzern in Supplier-Diversity-Programme, in denen auch LGBTQ+-geführte Unternehmen eingebunden sind, in interne Lern- und Inklusionsformate sowie in die TK Maxx & Homesense Foundation, die europaweit soziale Projekte fördert und wiederholt Pride-Präsenz der Teams sichtbar macht. (siehe: Homesense: The TK Maxx and Homesense Foundation) Für die Wahrnehmung in der Community mag das weniger spektakulär sein; aus Risikoperspektive ist es genau die Art Substanz, die gegen den Vorwurf der „Symbolpolitik“ immunisiert und HR- wie Reputationsrisiken reduziert. (siehe: TJX Global Corporate Responsibility 2025) Es sind auch die Kleinigkeiten, wie ganzjährige große Aufkleber an den Fenstern, welche auf die Unterstützung der LGTBQIA*-Community hinweisen.
Und was heißt das?
Über die Einzelfälle hinaus lohnt der Blick auf das, was Investoren- und Arbeitsmarktforschung seit Jahren skizziert. MSCI zeigt in einer vielzitierten Analyse, dass LGBTQ-inklusive Arbeitsplätze mit geringeren Reputations- und Personalrisiken einhergehen, ein Aspekt, der sich in stabileren Performance-Profilen niederschlagen kann. (siehe: SAGE Publications: Corporate Sociopolitical Activism and Firm Value) Die Meta-Reports von Open For Business verdichten hunderte Studien zu einem klaren ökonomischen Befund: Inklusion korreliert mit Innovationskraft, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit auf Unternehmens- wie Standortebene. (siehe: Open for Business: Strengthening the economic case) Und neue Datenauswertungen aus 2025 deuten darauf hin, dass höhere CEI-Scores der HRC langfristig mit stärkerem Umsatzwachstum, höherem Nettogewinn und stabileren Kursverläufen assoziiert sind. Das sind keine simplen Kausalbeweise, aber robuste Muster, die den Business Case für echte, ganzjährige Inklusion stützen. (siehe: HRC: New Data Analysis Shows LGBTQ+ Inclusion Linked to Long-Term Business Growth)
Die Quintessenz bleibt damit erstaunlich nüchtern: Pride lohnt sich, wenn sie als Strategie gedacht ist und nicht als Saison-Taktik. Wer Haltung konsistent zeigt, Ressourcen bindet, interne Strukturen stärkt und die Kommunikation an die eigene Markenlogik koppelt, reduziert Hypokrisen-Risiken und baut Vertrauen auf. Wer dagegen zum Juni die Farben wechselt und im Juli zurückrudert oder geographisch unterschiedlich mutig ist, steigert die Wahrscheinlichkeit, dass der Regenbogen als Reklame verstanden wird. Die Fälle von Target, Starbucks, BMW, J&B, Sephora, Levi’s und TK Maxx zeigen die ganze Spannweite, von Vertrauenseinbruch durch Rückzug bis zu Markenaufwertung durch glaubwürdige Persistenz. Genau das belegt die Forschung zu Kapitalmarktreaktionen, Konsumentenpsychologie und Employer Branding seit Jahren, und genau daran messen Community und Märkte die nächsten Pride-Saisons.
Weitere Kampagnen in der Welt
Abschließend möchte ich noch ungefiltert auf weitere wunderbaren Kampagnen verweisen.
NFL: Football is for everyone (nur auf YouTube)
Gilette: First Shave
Hershey Canada: Her for She
Lazada Philippines: Be PROUD. Be YOU.

Kampagnen in Deutschland
Natürlich gibt es auch in Deutschland die ein oder andere Firma, welche Pride-Kampagnen startet.
BVG - „Is mir egal", ft. Kazim Akboga
Deutsche Bahn - Wir fühlen mit Euch (we feel for you) – Pride Ride
Pantene - ProV1
Eure, Lizbeth




Kommentare