3. Advent: Es sind die kleinen Gesten
- Lizbeth

- vor 1 Stunde
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Der dritte Advent ist ein merkwürdiger Zwischenzustand. Die anfängliche Vorfreude ist vergangen, doch die große Feststimmung ist noch nicht eingetreten. Dazwischen gibt es ganz normale Tage: frühe Dunkelheit, überfüllte Verkehrsmittel, Aufgabenlisten und Ermüdung, und nicht zu vergessen, schnell noch die letzten großen Aufgaben am Arbeitsplatz abzuschließen. Weder ein großes Pathos noch ein strahlender Höhepunkt. Vielleicht ist das ja der ideale Augenblick, um die kleinen Lichter zu erwähnen, die unseren Alltag erhellen.
Wenn wir vom "Licht in dunklen Zeiten" reden, denken viele sofort an große Gesten. An Menschen, die sich für Politik einsetzen, an Initiativen, die die Welt zum Besseren wenden wollen, an Personen, die offen gegen Ungerechtigkeiten auftreten. Das alles ist von Bedeutung, aber die Wahrheit ist: Die meisten von uns leben nicht dauerhaft in großen Gesten. Die meisten von uns durchleben gewöhnliche Tage ohne großes Aufsehen und bemühen sich morgens aufzustehen, die Kinder zu wecken, E-Mails zu beantworten und für ihre Liebsten da zu sein. Die Frage lautet dann nicht: Wie kann ich heute die Welt retten? Sondern: Wie kann ich sie für jemanden um ein bis zwei Grad wärmer gestalten.
Kleine Lichter sind nichts "Besonderes". Über sie werden keine Schlagzeilen geschrieben und sie erscheinen in keinen Statistiken. Sie sind das "Wie geht’s dir" nach einem stressigen Schultag. Die kurze Mitteilung an eine Person, welche sich isoliert hat. Der wohlwollende Blick an der Supermarktkasse, wenn das Kind vor dir gerade völlig überfordert ist und die Mutter kurz davorsteht, die Nerven zu verlieren. Das stille "Ich sehe dich". Nichts was auf eine Urkunde geschrieben werden kann, und doch verändern diese Kleinigkeiten etwas.
Solche Augenblicke können für Kinder und Jugendliche enorm bedeutsam sein. Ein Lehrer, der neben der Benotung auch die Bemühung kommentiert. Eine Freundin, die auch dann zuhört, obwohl sie selbst Probleme hat. Ein Elternteil, das abends nicht nach dem Grund für die fehlende Aufgabe fragt, sondern stattdessen zunächst fragt: "War dein Tag so schwer?". In einer Welt, in der sich viele junge Menschen trotz ständiger Online-Verbindung einsam fühlen, kann eine echte, präsente Minute wie ein Licht in einem langen Tunnel wirken. Es ist nicht die Lösung für alle Probleme, es signalisiert: Jemand ist für Dich da.
Manchmal sind die kleinen Lichter auch das, was wir nicht tun. Wenn man selbst gerade mies drauf ist, sollte man nicht unter einem Social-Media-Post beleidigende Kommentare hinterlassen. Augenrollen über die "Empfindlichkeit der Jugend" ist nicht angebracht, wenn ein junger Mensch den Mut hat zu äußern, dass ihr:ihm alles zu viel wird. Kein "Reiß dich zusammen", wenn ein "Ich nehme dich ernst" notwendig wäre. Oft unterschätzen wir, wie viel Schmerz in Nebensätzen verborgen sein kann und wie viel Licht in Sätzen, die nicht notwendig sind und die wir dennoch aussprechen: "Ich glaube dir.", "Du bist nicht lästig.", "Es ist erlaubt, dass du fühlst, was du fühlst."...
Kleine Lichter können im eigenen Haushalt auch mehr als nur nette Stimmungselemente sein. Es kann ein Becher Tee sein, der ohne Worte vor der Zimmertür abgestellt wird. Auf einem kleinen Zettel steht eine kurze Notiz: "Viel Erfolg! Ich hab dich lieb." Ein Abend, an dem ausdrücklich niemand funktionieren soll: Schlafanzug, Couch, ein Film oder vielleicht zwei, und keine Fragen zu Noten, Zukunftsplänen oder aufgeräumten Zimmern. Nicht als Anerkennung, sondern einfach so. Einfach, weil es gut tut.
Bedeutend ist: Kleine Lichter kommen nicht nur von Erwachsenen. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, sind Kinder und Jugendliche selbst hervorragend darin Wärme zu teilen, wir müssen sie nur lassen. Sich gegenseitig zum Lachen bringen, obwohl der Tag schlecht war. Freundschaftsnachrichten um Mitternacht: "Bist du wach? Mir geht’s nicht gut." Die geteilte Playlist, die zwischen mit Musik Liebeskummer besiegt und aufmuntert und das unausgesprochene "Ich bin für Dich da" vermittelt. Auch das stellt im Alltag ein Licht dar, auch dies ist Care-Arbeit, für die selten diese Bezeichnung verwendet wird.
Ein Perspektivwechsel ist hilfreich: Kleine Lichter dienen nicht als Ersatz für all die politischen und strukturellen Maßnahmen, die notwendig wären. Sie entschuldigen nicht, wie wir in Schulen, der Arbeitswelt überlastet sind, oder dass unser soziales Sicherungssystem oft versagt. Aber sie sind auch nicht nichts. Sie sind der unser Widerstand gegen die vollständige Entmenschlichung. Ihr Verhalten beweist, dass wir im Kleinen anders miteinander umgehen können, als es die großen Systeme oft nahelegen. Eine Gesellschaft, in der solche kleinen Gesten normal sind, fühlt sich anders an als eine, in der alle nur noch funktionieren.
Insbesondere im Advent, wo vieles so inszeniert erscheint, sind kleine Lichter ein Element der Ehrlichkeit. Sie müssen nicht schön sein, nicht für Instagram geeignet und nicht einmal besonders kreativ. Es ist Ihnen gestattet, erschöpft zu sein. Ein leises "Ich sitz einfach bei dir, auch wenn ich keine Lösung habe" kann mehr Trost spenden als jede perfekt formulierte Weisheit. Ein "Du musst heute nicht stark sein" kann mehr bewirken als zehn Motivationssprüche.
Vielleicht ist das der verbindende Aspekt aller Adventssonntage: Am ersten Advent zünden wir das Licht mit Bedacht an und erinnern uns gegenseitig daran, dass wir füreinander Wärme erzeugen können. Am zweiten Advent haben wir uns ins Gedächtnis gerufen, dass wir Pausen brauchen, damit dieses Licht bis zum Jahresende nicht erlischt. Am dritten Advent nehmen wir genauer unter die Lupe, wo dieses Licht im Alltag schon aufblitzt, ohne viel Aufhebens: Blickkontakte, Zuhören, Aushalten und Interesse...
Im Alltag sind kleine Lichter ein Versprechen. Es ist kein großes, bombastisches, sondern eher ein stilles: Du bist in dieser Dunkelheit nicht allein. Ich kann die Welt nicht anhalten; sie dreht sich weiter, laut und oft ungerecht. Aber für einen Augenblick halte ich mit dir inne. Und während die Lichterketten irgendwo draußen blitzen und die Einkaufsstraßen übervoll sind, sitzt vielleicht jemand auf dem Sofa mit einer Tasse Tee, hört zu und sagt: "Erzähl, wenn du magst." Vielleicht ist es genau das, was heute gebraucht wird.
Eure, Lizbeth




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