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2. Advent: Eine kleine Pause im Kerzenschein

  • Autorenbild: Lizbeth
    Lizbeth
  • 7. Dez.
  • 5 Min. Lesezeit
Zwei Weihnachtsmützen im Licht
Zweiter Advent

Am ersten Advent habe ich erwähnt, dass wir das Licht in dunklen Zeiten nicht von außen erwarten sollten, sondern es füreinander entzünden müssen. Heute bleibe ich bei diesem Bild , ändere aber die Perspektive: Was geschieht in den Momenten, in denen die Kerze brennt, wir aber innerlich keine Ruhe finden. Und noch wichtiger: Wie geht es unseren Kindern und Jugendlichen?

Wenn ich meine Tochter betrachte, wird mir sehr konkret vor Augen geführt, was Statistiken nur abstrakt darstellen. Zu viele Gefühle gleichzeitig, zu wenig verlässliche Freundschaften, zahlreiche Anforderungen von Schule und Umfeld. Damit ist sie nicht die Einzige. Der aktuelle DAK-Präventionsradar zeigt, dass über die Hälfte der Schulkinder in Deutschland sich erschöpft fühlt, fast ein Drittel fühlt sich einsam und drei Viertel berichten von Ängsten angesichts aktueller Krisen wie Krieg, Klima und Inflation (siehe DAK: Mehr als die Hälfte der Schulkinder sind erschöpft). Im Herbst 2024 wurde die COPSY-Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen veröffentlicht. Darin wurde berichtet, dass die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen nach der Pandemie nicht auf das Niveau vor der Pandemie zurückkehrt ist. Etwa 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen weisen weiterhin psychische Auffälligkeiten auf oder erleben eine stark reduzierte Lebensqualität (siehe Deutsches Ärzteblatt: COPSY-Studie: Psychische Gesundheit von Heranwachsenden ist schlechter als vor Coronapandemie). Es handelt sich nicht um eine Laune oder um ein "Die Jugend von heute"-Phänomen, sondern um ein strukturelles Problem.

Einsamkeit tut besonders weh. Laut DAK empfinden 31,5 Prozent der Schulkinder Einsamkeit. Sie fühlen sich ausgeschlossen und haben keine verlässlichen Freundschaften. Bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien ist dieser Anteil deutlich höher (siehe DAK: Mehr als die Hälfte der Schulkinder sind erschöpft). Diese Einsamkeit endet nicht zwangsläufig mit dem Ende der Schulzeit. Eine repräsentative Umfrage der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass 46 Prozent der jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 30 Jahren sich einsam fühlen, wobei etwa 10 Prozent von starkem Einsamkeitsgefühlen betroffen sind. (siehe Bertelsmann Stiftung: Wie einsam sind junge Erwachsene im Jahr 2024?) Daher sitzen, während in zahlreichen Familien abends die Adventskerze brennt, Menschen am Tisch, die äußerlich zusammen sind, aber innerlich sehr einsam fühlen. Dies gilt für Kinder, Jugendliche und deren Eltern.

Eine Dimension, welche zu wenig Beachtung findet, ist die Gesundheitskompetenz. Laut einer aktuellen Analyse des DAK-Präventionsradars haben 84 Prozent der Schulkinder weder die nötige Motivation noch die erforderliche Kompetenz, um gesundheitsbewusst zu handeln. Bei Kindern mit geringer Gesundheitskompetenz treten Erschöpfung, Traurigkeit oder Einsamkeit deutlich häufiger auf (siehe DPT: 84 Prozent der Schulkinder ohne ausreichende Gesundheitskompetenz). Matheformeln und Grammatikregeln sind Ihnen bekannt; aber eine systematische Anleitung zum Erkennen erster Anzeichen von Überlastung, zum Einholen von Hilfe, zu hilfreichen Pausen und zu den eigenen Grenzen vor einem Zusammenbruch fehlt Ihnen. Lösungen für diese Probleme gehören in den politischen Bereich, nicht in den privaten.

Fachgesellschaften der Psychotherapie warnen mittlerweile vor einer "Alarmstufe Rot" in Bezug auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Depressive Symptome treten bei jeder siebten minderjährigen Person auf, und etwa ein Drittel leidet unter Einsamkeit. Die Bundespsychotherapeutenkammer weist darauf hin, dass rund 75 Prozent aller psychischen Erkrankungen in der Kindheit und Jugend beginnen und bis ins Erwachsenenalter fortdauern können (siehe BPtK: Alarmstufe Rot für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen). Wenn es um Pausen geht, handelt es sich also nicht um "ein bisschen Wohlfühl-Advent", sondern um eine Frage der öffentlichen Gesundheit und der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Im Jahr 2024 führten psychische Diagnosen zu 342 Fehltagen pro 100 Beschäftigte, wobei Depressionen den größten Anteil ausmachten. Ausgerechnet in Berufen, in denen Menschen für andere sorgen, wie in der Pflege oder in Kitas, ist die Belastung besonders hoch (siehe DAK: Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt: 2024 verursachten Depressionen erneut die meisten Fehltage).

Zugleich sind die Erwachsenen, die als Begleitpersonen der Kinder fungieren sollen, selbst ausgelaugt. Laut dem DAK-Psychreport haben sich die aufgrund psychischer Erkrankungen verursachten Fehltage in den vergangenen zehn Jahren um über 50 Prozent erhöht (siehe IGES: Psychreport: 50 Prozent mehr Fehltage infolge psychischer Leiden innerhalb von zehn Jahren). Gleichzeitig belegt der internationale AXA Mind Health Report, dass weltweit rund ein Drittel der Bevölkerung von psychischen Problemen betroffen ist, bei jungen Erwachsenen beträgt dieser Anteil sogar 44 Prozent. Wer selbst nie ausreichende Pausen hat, kann für andere, besonders für Kinder, Räume der Ruhe schaffen.

Worin besteht der Zusammenhang mit einer "Pause im Kerzenschein"? Es handelt sich um den Unterschied zwischen einer politischen und einer ästhetischen Pause. Eine ästhetische Pause ist das, was uns die Werbung präsentiert: eine Tasse Tee, ein Hauch von Zimt und eventuell ein Abo für eine Achtsamkeits-App. Eine politische Pause stellt die Frage: Wer erhält diese Pause überhaupt? Wer hat die zeitlichen, finanziellen und emotionalen Ressourcen, um bewusst zu erklären: Heute wird nichts Produktives mehr geschehen. Und für wen ist es im Alltag einfach gar nicht vorgesehen, einfach mal eine "Pause zu machen".

Für Kinder und Jugendliche ist eine echte Pause oft etwas Besonderes. Schultage, Hausaufgaben, Ganztagsbetreuung, Hobbys, soziale Medien und das ständige Geräusch der Krisen lassen wenig Raum für einfaches Herumlungern, für Langeweile und für das altbekannte "in die Luft schauen". Studien zeigen, dass lange Mediennutzungszeiten, Sorgen um die Zukunft und Krisenängste die psychische Gesundheit von Heranwachsenden zusätzlich belasten, während Zeit mit der Familie und stabile soziale Beziehungen einen starken Schutzfaktor bieten (siehe Deutsches Ärzteblatt: COPSY-Studie: Psychische Gesundheit von Heranwachsenden ist schlechter als vor Coronapandemie). Wenn es unserer Gesellschaft nicht gelingt, Kindern verlässliche Orte der Ruhe und des Miteinanders zu bieten, handelt es sich dabei nicht um ein Privatthema, sondern um eine politische Herausforderung.

In dieser Hinsicht sind Pausen ein gesellschaftliches Statement. Wenn eine Schule echte Auszeiten ermöglicht, das Fach "Gesundheit" einführt und verlässliche Schulsozialarbeit anbietet, stellt dies einen politischen Akt dar. Finanzieren Kommunen Treffpunkte für Jugendliche, an denen kein Konsumzwang und kein Leistungsdruck herrscht, so ist dies eine Investition in Demokratie und psychische Gesundheit, nicht in "Freizeitspaß". Die Entscheidung von Eltern, abends mit ihrem Kind auf die Couch zu sinken und eine Matheübung oder unbeantwortete Mail liegenzulassen, ist klein, aber nicht unwichtig. Es vermittelt die Botschaft: Deine Person hat eine höhere Bedeutung als die Tagesproduktivität.

Im Advent bietet sich gerade die Möglichkeit, dies bewusst zu trainieren. " Eine kleine Pause im Kerzenschein" kann bedeuten, einen Abend zu planen, an dem niemand etwas leisten muss. Es kann sein, dass die Kinder von ihrem Erlebten berichten, es kann aber auch sein, dass alle nebeneinander still sind, oder Tränen laufen, weil dafür endlich Raum vorhanden ist. Es ist nicht entscheidend, dass das Ritual perfekt ist, wichtig ist, dass Pausen als etwas Legitimes wahrgenommen werden, auch und insbesondere von unseren Kindern. Es ist in Ordnung, wenn du erschöpft bist. Es ist nicht nötig, dass du immer funktionierst. Es ist nicht nötig, dass du umgehend alle Freundschaftslücken schließt oder allein alle weltweiten Krisen bewältigst.

Für Erwachsene kann diese Pause sowohl unangenehm als auch heilsam sein. Wenn ich mich neben mein Kind setze und zugestehe, dass auch ich erschöpft und überfordert bin, verliere ich ein wenig von meinem Schein, gewinne aber an Ehrlichkeit und Beziehungstiefe. Ich muss ertragen, dass ich die Krise nicht einfach wegmoderieren kann, dass eine Kerze keine Therapie ersetzt und unsere kleine Pause das System von Schule, Arbeitswelt oder sozialen Medien nicht verbessert. Trotzdem hat sie Bedeutung, da sie ein Gegengewicht darstellt, eines, welches wir für uns wählen.

Damit schließe ich den Bogen zum Beitrag "1. Advent: Licht in dunklen Zeiten". Für den ersten Advent war die Aufgabe Licht überhaupt zu erzeugen. Heute geht es darum, dieses Licht nicht im Dauerstress zu unterdrücken. Wenn wir Pausen als Recht von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ernst nehmen und nicht als Belohnung für besonders effiziente Tage, dann werden sie zu einem stillen Protest gegen eine Kultur der ständigen Verfügbarkeit. Unsere Aufgaben am zweiten Advent ist es, im Schein der Kerzen ein Bild davon zu entwerfen, wie es wäre, wenn niemand mit seinen Problemen allein gelassen würde. Eure, Lizbeth

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